Über das 16 GB iPhone und die Copycat Apple

Marcel Am 10.09.2015 veröffentlicht Lesezeit etwa 6:46 Minuten

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Betrachtet man einmal die Meinungen und Kommentare zur Apple-Keynote am gestrigen Abend, dann bekommt man nicht durchgehend positive Kritik zu hören, sondern auch negative. Kein Problem, wäre diese wirklich objektiv – stattdessen gibt es aber polemische Hirnausgüsse, die zwar in ihrem Titel korrekt sind, aber bei denen man auch nicht weiter über eben diesen nachgedacht hat. Zwei Kritikpunkte sind mir dabei besonders aufgefallen: Zum einen die Vorstellung der 4K-Videoaufnahme mitsamt eines iPhone 6s mit 16 GB, zum anderen die „Copycat Apple“.

Fangen wir einmal mit dem 16-GB-iPhone an, den dieser Punkt dürfte sich schneller abhaken lassen. iOS selbst, ein paar Apps, etwas Musik, etliche Fotos und ein paar Videos. Schon ist der interne Speicher mit seinen 16 GB voll. Und nun bringt Apple auch noch eine Videoaufnahme mit 4K – ein Video, Speicher voll. Ja, 16 GB sind nicht mehr zeitgemäß. Ja, 16 GB sind wenig. Und ja, das weiß auch Apple. Es wäre bei den derzeitigen Margen ein leichtes für Apple, die Version mit 16 GB durch eine Einstiegsversion mit 32 GB zu ersetzen – würde die Kalkulation ohne Wenn und Aber erlauben, ziemlich sicher. Wieso man dies aber eben nicht macht? Reine Verlaufspsychologie. 32 GB dürfte für viele Nutzer passend sein – 16 GB ist für etliche zu wenig, 64 GB zu viel.

iphone6spluspreise

Nun also kommt Apple daher und verdoppelt den Speicher der beiden teureren Modelle, während es bei der kleinsten Größe bei 16 GB bleibt. Die Folge: die meisten Käufer schnappen sich die 64 GB. 4-facher Speicher, für einen Hunni mehr – und das ohne, dass Apple den Einstiegspreis erhöht hat. Das 16 GB iPhone dient also lediglich des Anreizes, mehr Geld auszugeben. In Wirklichkeit hat sich Apple aber bereits mit Einführung des iPhone 6s (Plus) von dem Dreiergespann verabschiedet. Hätte aber für ordentlich Trara gesorgt, das „kleinste“ iPhone wird 100 Euro teurer, so aber greifen die Käufer „freiwillig“ tiefer in die Tasche.

Ein weiterer Punkt: Apple klaut und kopiert, wo es nur geht. Und ja: Genau das macht Apple. Genau das macht Apple aber schon seit Jahrzehnten. Und genau das machen auch andere Unternehmen seit Jahrzehnten und länger. „Besser gut geklaut, als schlecht selbst gemacht“ – da ist was dran und genau das sieht man auch an dem meiner Meinung nach bestem Beispiel, welches gar nicht mal so alt ist. Huawei hat kürzlich das Mate S vorgestellt. Ein tolles Gerät, keine Frage. Mit ForceTouch. Jener Technologie, die Apple mit der Apple Watch „eingeführt“ oder besser gesagt, bekannt gemacht hat. Doof nur, dass Huawei zwei Fehler gemacht hat: Zum einen ist ForceTouch nur in einer Premium-Version des Mate S vorhanden – und wann diese erscheint, dazu gab es nur mickrige Andeutungen.

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Bildquelle: Engadget

Der zweite, viel größere Fehler: Man hat zwar eine kurze Demo gezeigt, in der das Smartphone als Waage herhalten konnte, mehr aber auch nicht. Warum? Weil man selbst nicht wusste, was man damit nun so wirklich machen sollte. „Schickt uns eure Ideen, was man mit ForceTouch so machen kann“ – das war die Aussage von Huawei. Und Apple? Die bringen ForceTouch 3D Touch ins iPhone 6s (Plus), integrieren das neue Feature aber direkt tief in iOS 9 und bieten Entwicklern ein SDK für die Nutzung des Features an. Klar, die dargebotenen Funktionen sind nicht neu und hätten sich sicherlich auch irgendwie ohne verschiedene Druckstärken integrieren lassen (Stichwort: Drucklänge), dennoch ist dies ein aktuelles Beispiel dafür, dass Apple bei neuen Features einfach einen Schritt weiter denkt.

appletv4Und dann gibt es da ja auch noch die Apple Wii – ähm, den  Apple TV 4. Auch hier kann man nicht leugnen, dass die Idee der Bewegungsteuerung von der Wii stammt, mit der Nintendo ohne Zweifel dicke Erfolge einfahren konnte, auch wenn sich der Nachfolger in Form der Wii U eher schleppend verkauft. Insgesamt ist am Apple TV nichts revolutionäres und nichts, was nicht auf der FireTV könnte. „Könnte“ – ganz bewusst „könnte“. Der riesen große Unterschied: Apple hat mit dem SDK für das tvOS einen riesigen Schritt gemacht und weiß die Entwickler hinter sich. Jede Wette: Bereits jetzt, ein paar Stunden nach der Veröffentlichung des Entwickler-Kits, werden mehr und hochwertigere Apps entwickelt, als sie der FireTV bei Veröffentlichung des Apple TV 4 besitzt.

Und mit diesem Wissen kann Apple das Gaming-Feature mit breiter Brust vorstellen. Kleine Games mit einfacher Steuerung und Grafik, ich glaube, mit dieser Kategorie, den sogenannten Casual Games, wird man ordentlich Nutzer einfangen. Idee nicht neu, sondern neu aufgelegt. Das, woran Nintendo mit der Wii U gescheitert ist, nämlich den Erfolg der Wii zu wiederholen, wird Apple mit dem neuen Apple TV ziemlich sicher schaffen. Nicht, weil der Apple TV technisch so viel stärker ist, als die Wii U. Sondern weil man eine Menge (Spiele-)Entwickler hinter sich weiß, die sich sicherlich nicht lange bitten lassen – funktionierte ja schließlich auch unter iOS.

ipadprosmartcoverDer letzte vorletzte Punkt: das iSurface – ähm, iPad Pro. Technisch nur ein vergrößertes iPad Air, welches mit einer Tastaturhülle und einem Stift ausgestattet werden kann. Also quasi das, was das Surface von Microsoft ausmacht. Geklaut? Mitnichten, denn immerhin gab es auch schon vor dem Surface bereits entsprechende Tastaturhüllen und Stifte sind alles andere als neu. Aber gut: betrachtet man das Zubehör als eine Gerätekategorie, so gibt es eigentlich nur das Surface. Apple kopiert hier also ein erfolgreiches Gerät. Oh, moment. Sagte ich „erfolgreich“? Damit meinte ich das iPad Pro. Ich glaube es wird nicht lange dauern, bis das iPad Pro das Surface in Sachen Verkäufen an die Wand gespielt hat – vielleicht sogar schon mit den Vorbestellungen.

Der Grund ist einfach: „Vertrauen“. Das iPad ist bereits bekannt, die Qualität ebenso. Für mich DAS Tablet für Consumer – schaut euch alleine mal die Qualität der iPad-Apps gegen Android-Tablet-Apps an. Und mit dem iPad Pro hat Apple die Consumerschiene zwar nicht gänzlich sein lassen, aber um einen dicken, produktiven Faktor erweitert: einer dazugehörigen Tastatur und einen Stift. Preislich liegen wir bei iPad Pro (32 GB) und Tastatur bei zusammen 968 Euro. Was kostet ein MacBook Air mit 13 Zoll? Preislich kein Unterschied mehr, weswegen das iPad Pro das MBA mittelfristig auch ersetzen wird.

ipadprooffice

Der springende Punkt ist einfach: Mir persönlich würden ein paar klassische Mac-Apps fehlen, ebenso die schnelle Bedienung per Maus und Desktop. Anderen sicherlich auch, für die Mehrheit aber dürfte das, was das iPad Pro mit seiner Tastatur und dem Stift kann, völlig ausreichen. Web, Consumer-Gedöns, Office, fertig. Ich würde mich sogar soweit aus dem Fenster lehnen, dass für viele diese Kombination derart ausreichend ist, dass auch die iMac-Verkäufe zurückgehen. Wer am PC arbeitet, der wird etwas vermissen – für 95% der restlichen PC- und Notebook-Nutzer reicht das iPad Pro aber locker aus.

Und dass die Marke „iPad“ überproportional mehr zieht als die Marke „Surface“  ist sicherlich unbestritten. Fragt mal in der Stadt 100 Leute, wer das iPad und wer das Surface kennt. Genau das weiß auch Microsoft, sonst hätten sie sich sicherlich nicht dazu breitschlagen lassen, auf einem Apple-Event von ihnen „geklaute“ Ideen zu pushen und vorzustellen.

Aber nicht nur die privaten Nutzer will Apple mit dem iPad Pro ins Boot holen, sondern auch Unternehmen. Gut, für umfangreiche Analysetools und ähnliche Spezial-Anwendungen fehlen (noch?) die entsprechenden Anwendungen für iOS. Aber für den „einfachen“ Außendienstler, für Produktionsleiter, im Krankenhaus? Da reicht ein iPad Pro locker aus – bereits jetzt rennen viele nur noch mit einem iPad (Air) herum.

ipadprostiftZuletzt noch ein paar Worte zu dem Apple Pencil: Stifte sind nicht neu und auch mir liegt noch das „Niemand möchte einen Stylus nutzen“ von Steve Jobs in den Ohren. Wann war das? 2007. Wie sahen Smartphones damals aus? Richtig: Dick, klobig, mit Stift auf einem nur drucksensitiven, monochromen Pixel-Display – und Windows Mobile. Der Stylus und die Art, wie man das Smartphone bediente, war einer der Gründe, wieso der Erfolg ausblieb – und erst mit dem iPhone einsetzte. Ich kann mich noch an mein HTC Neo erinnern, welches Monate nach der iPhone-Vorstellung eine UI erhielt, die zwar noch immer grausam war, sich aber etwas besser mit dem Finger bedienen ließ – und andere zogen nach.

Damals wollte niemand einen Stylus. Allerdings hat sich die Art und Weise, wie wir Smartphones und vor allem die damals noch weit entfernten Consumer-Tablets nutzen, in den letzten Jahren massiv geändert. Produktives Arbeiten? Daran hat vor 5…6…7 Jahren noch niemand gedacht. Dies sieht nun anders aus und der Stylus hat wieder Einzug in die Tech-Welt gefunden. „Unterschätze niemals die Flexibilität des klassischen Papiers“ – da ist was dran, denn in Vorlesungen habe ich schneller Notizen mit Stift und Papier gemacht, als am Notebook oder iPad, vor allem auf bereits bestehende Skripte. Ein Punkt, den Samsung mit dem Note bereits gut aufgefasst hat und in dem Apple nun nachgezogen ist – für ein produktiveres Arbeiten mit dem iPad Pro und dafür, dass das MBA langsam verschwinden kann.

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Man sah an der gestrigen Keynote ganz gut: Apple klaut, ebenso wie es andere Unternehmen machen. So geht nun einmal technischer Fortschritt. Egal ob iPhone, MacBook Air, iPad, iPad Pro oder was auch immer: Man hat immer schon bestehende Technologie aufgegriffen. Allerdings denkt Apple hierbei häufig (nicht immer, aber meistens) einen Schritt weiter, denkt die Ideen näher bis ans Ende. Nicht umsonst haben diese Gerätekategorien auch immer erst nach Apples Auftreten einen gehörigen Zug bekommen: Nach dem iPhone kamen die „wirklichen“ Smartphones, auf das MBA reagierten Hersteller mit den „Ultrabooks“, das iPad läutete eine neue Ära der Tablets ein (sorry, aber die 10kg-Tablets mit unangepasstem Windows 2000 wollte doch zu recht nie jemand).

Und so wird es auch mit der iWii und dem iSurface sein. Erfolg war nie eine Frage dessen, wann etwas auf den Markt kommt. Sondern eher, wie es verkauft wird, wie es umgesetzt wird – und was die Nutzer davon haben. In der Frage „VHS vs. Betamax“ waren es die Pornos, bei Apple sind es die Entwickler – und der richtige Zeitpunkt.

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2 Kommentare vorhanden

Eigentlich würde ich direkt meine Unterschrift druntersetzen, da ich dir in jeden Punkt zustimme. Außer in einem, der Pencil ist ausschließlich fürs iPad Pro gedacht, richtig? Richtig! Somit trägt die Aussage keine Früchte, den Steve ging es bei der Aussage um die Bedienung mit dem Smartphone.

Ich stimme (fast) überall zu. Einzig das „iSurface“ (iPad Pro) verstehe ich gar nicht und kann mir nicht vorstellen, wie man es mit dem Surface3 (Pro) vergleichen kann. Man könnte es mit den (gefailten) Surface RT (1 und 2) vergleichen – die waren eigentlich dasselbe: Tablet/Smartphone OS mit Browser, gutem Multi-Tasking und Office. Ich glaube nicht, dass das iPad Pro für Private interessant ist, sondern bei Firmen (Designer, Künstler, Leute die viel unterwegs sind, usw). Und genau dort glänzt auch das Surface – nur dass es Vollversionen von allem hat (e.g. Photoshop, CAD, IDEs, usw), sehr viele Erweiterungen eingebaut hat (USB-Anschluss, Mikro-SD, Mini-DisplayPort, usw) und auch eine Dockingstation hat, damit man trotzdem (am Arbeitsplatz) seriös arbeiten kann. Deshalb kann ich mir noch nicht ganz vorstellen, welches Segment das iPad Pro (im Gegensatz zum Surface 3) für sich beanspruchen wird…

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